Im Frühjahr 2021 erreichte uns ein Auftrag zu einem Haftpflichtschaden, der sich vorerst als „ganz normal“ ankündigte. Der Grund war eine starke Verschmutzung in Folge staubender Bauarbeiten, die die VN durchgeführt haben soll.
Die AS - ein großer Energieversorger - ließ an einem Heizkraftwerk Neu- und Umbauarbeiten auf dem gesamten Werksgelände vornehmen. Geplant war neben einem neuen Pumpenhaus für das eigene Fernwärmenetz, auch eine neue kostspielige Anlagensteuerung.
Da es sich um einen Betrieb mit einer großen Verantwortung für die umliegende Bevölkerung handelte, mussten die neue Anlagensteuerung, die Notstromversorgung (USV), eine Mittelspannungsanlage zum Betrieb der Anlagen und die Lüftungsanlage redundant ausgeführt werden. Redundant bedeutet in diesem Zusammenhang, dass jeder vorgenannte Anlagen-Teil zweifach vorhanden sein musste, um im Falle eines Ausfalls die Arbeit übernehmen zu können. Wegen dieser Relevanz, kamen auch nur die teuersten und robustesten Komponenten der namhaftesten Elektronikhersteller zum Einsatz. Trotz der hohen Qualität der Komponenten benötigt die Technik sehr eng gesteckte raumklimatische und raumhygienische Bedingungen.
Die VN war als Hochbauunternehmen unter anderem mit dem Bau des umgebenden Gebäudes aus Leichtbeton beauftragt. Klassischerweise werden bei Wänden aus Leichtbeton Schalungen benutzt, welche später mit dem Leichtbeton ausgegossen werden. Wie bei einem Kuchen, der durch das Backen fest geworden ist, wird die Hülle (die Schalung) nach dem Aushärten entfernt.
Für Fenster und Türen werden zuvor Holzrahmen in die Schalung eingebaut, so dass die gewünschten Öffnungen frei bleiben. Durch einen Fehler beim Betonieren oder Bemaßen war nun eine Türöffnung zu schmal für den späteren Türrahmen. Der Nachunternehmer der VN, der die Türen setzen sollte, war bereits vor Ort und zeigte bei den Mitarbeitern der VN die unzureichende Vorarbeit an. Man bat um Korrektur.
Auch Sie wissen was jetzt kommt! Es passiert, was passieren musste.Vorhang auf!
Frei dem Schmetterlingseffekt von Edward Norton Lorenz (“When a butterfly flutters its wings in one part of the world, it can eventually cause a hurricane in another.”) folgend, entpuppte sich im wahrsten Sinne des Wortes ein kleiner Luftstrom als wahrer Wirbelsturm.
Wie es auf der Baustelle oft passiert, zogen zwei Handwerker der VN ohne Einweisung mit einem Winkelschleifer bewaffnet los und schnitten die Türöffnung (an einem Freitagnachmittag) ein wenig breiter. Dahinter befand sich, getrennt durch eine undichte Bautür – Sie erraten es sicherlich - richtig: Die teure Anlagenreglungstechnik, welche bereits seit mehreren Monaten im Interimsbetrieb für das Kraftwerk gehalten wurde. Die alte Steuerung des Heizkraftwerks war bereits wie geplant rückgebaut worden, da auch in diesem Kraftwerksteil Umbauten stattfanden. Demzufolge war die Klimaanlage / Lüftung der neuen Anlagensteuerung in Betrieb und hatte ein ganzes Wochenende Zeit, über die Hohlböden, auf denen die Serverschränke standen, Staub in die Elektronik und zwei weitere Etagen zu verteilen.
Den Rückschluss auf den Flügelschlag des Schmetterlings kennen Sie nun, aber was hat dies mit einem Froschkonzert auf sich? Wie auch oft in der Natur beginnt das Konzert an einem Morgen, einem Montagmorgen.
Der Projektleiter für die Anlagenregelungstechnik bekam fast einen Herzinfarkt, als er die Räume der Mittelspannungsanlage im Erdgeschoss betrat und startete das „Froschkonzert-Intro“ mit einer hastigen E-Mail.
Er meldete dem Elektronik-Fachbetrieb, der VN, dem Klimaanlagenbauer und auch dem Oberbauleiter der Gesamtmaßnahme Gefahr für Leib und Leben. Seine Befürchtung war, dass durch den Staub in der Luft und auf den Oberflächen „Lichtbögen“ (starke überspringende Blitze) von der Mittelspannungsanlage auf Arbeiter überspringen könnten. Außerdem könnte die teure Technik in den Schränken durch Kurzschlüsse und Funken zu Schaden kommen.
Der Fachbetrieb für Anlagenreglungstechnik schaltete augenblicklich einen weiteren „sachverständigen Frosch“ ein, der sich natürlich nicht über die zuvor geäußerte „mögliche Gefahr“ hinwegsetzte. Er „quakte“ (pflichtete) dem Kollegen Bauleiter bei und empfahl kurzerhand die Abschaltung der Anlage.
Der Chemiker eines Sanierers sprang den anderen bei und beprobte den Staub. Er schreibt daraufhin in seinem Bericht, dass die elektrischen Widerstände auf den Elektronikbaugruppen einen kritischen Stand erreichen könnten und feingereinigt werden müssten. Gereinigt werden sollte auch die gesamte Lüftung. Bei der Filteranlage sollen in Folge des vielen Mineralstaubes die Filtertaschen abgefallen sein. Diese müsse man daher auch ersetzen. Zur Feinreinigung und zum Schutz der Mitarbeiter wurde also dann das System abgeschaltet, was neben den Reinigungskosten zu einer Bauunterbrechung führte.
Wie so häufig kamen die betroffenen Unternehmen mit der Bauunterbrechung nicht gut zurecht. Sie bedauerten natürlich keine alternativen Baustellen zu haben, auf denen sie ihre Mitarbeiter kurzfristig einsetzen können. Die Stundenlöhne wurden exorbitant angesetzt und auch die einzelnen Fachbauleiter konnten natürlich nach eigener Darstellung nichts anderes tun, als überteuert abzuwarten, bis die Technik gereinigt war. Krokodilstränen vergießen ist ja auch viel einfacher, als umzuplanen, wie es aus Schadenminderungsgründen eigentlich Pflicht wäre.
Wie es mit der späteren Garantie für die rund 2.500.000,00 € teure Elektronik aussehen würde, wusste auch niemand – schon gar nicht der Sanierer. Zumindest wollte niemand mehr Gewähr für die teure Anlagenregelungstechnik übernehmen, nachdem sie gereinigt wurde. Die Technik sei ja so empfindlich, deren Betrieb für die Bevölkerung ja so wichtig, so die AS. Man solle den Fehler eben einsehen und zahlen. Das kann passieren. Auf professioneller Ebene fast eine Lappalie. Wofür hat man denn schließlich eine Versicherung? So die Aktenlage und die ersten telefonischen Kontakte. Sie sehen – wie erwartet – ein ganz normaler Fall im Leben eines Bausachverständigen.
Soweit die ersten Sätze des Froschkonzerts, die wir nur als - irgendwo zwischen „experimental Jazz“ und „Dubstep“ verorten konnten.
Wir kamen auf die Baustelle zur Besichtigung, als diese bereits durch den Sanierer gereinigt war. Die Meldung erreichte unsere Auftraggeberin wohl erst recht spät. Der Innenausbau auf der Baustelle wurde weiter fortgesetzt. Die zuvor verstaubte Anlagenregelungstechnik war wieder in Betrieb und „die Frösche“ bester Laune. Man war so nett und hatte uns rund zehn Bilder gemacht, um den Schaden nachvollziehen zu können. Die Lüftung war in Betrieb und lieferte uns saubere, kühle Luft für den Ortstermin.
Unschön hingegen war, dass wir als allererstes im Bereich der teuren Elektronik einen Handwerker sahen, der - zwar mit Kippe im Mund aber ohne Absaugung - Löcher für Installationsrohre und Kabeltrassen in Decken und Wände bohrte. Offensichtlich, dass die Baustellenordnung alles andere als konsequent umgesetzt wurde. Die hohen Herren, die uns beim Ortstermin begleiteten, befanden es auch in unserem Beisein nicht für notwendig den Mann anzusprechen oder gar sein „staubiges Geschäft“ zu unterbinden. Eine offene große Flügeltüre weiter waren andere Handwerker mit vollem Einsatz beim Schneiden, Schweißen und Schleifen von riesigen Metallrohren für die Fernwärmeverteilanlage.
Leicht irritiert ließen wir uns noch das Herz des Lüftungssystems zeigen, das angeblich von einer errechneten Menge Staub (durch die Arbeiten der VN) von rund 2.200 g zum Kollabieren gebracht wurde. Wir standen vor einer „Luftreinigungs-Klimatisierungs-Straße in LKW Größe“ mit einer Luftbefeuchtungsanlage, Klimaeinheit und Heizung sowie einer Kammer voller knapp 100 Stück, gut A4 großen Filtertaschen. Diese Filtertaschen sollen sich in ihrer kleinwagengroßen Filtereinheit durch das Gewicht des Staubs (2.200 g) gelöst haben? Wohl eher nicht!
Mit so viel Kreativität und Humor hatten wir nicht gerechnet! Vor allem da die Reinigungs- und Betriebsunterbrechungskosten, mit gesamt 210.000,00 € netto in Summe eher surreal als lustig wirkten.
Wir planten kurzfristig - auf Grund des bisher geringen Unterhaltungswerts der vorgetragenen Partitur der Frösche - ein „Intermezzo“ in eigener Sache mit vielen offenen Fragen:
• Wieso gibt es keine Alarmeinrichtung die eine Störung meldet? Bei dieser Staubentwicklung hätten doch allein schon die Rauchmelder anschlagen müssen, oder?
• Wenn das System redundant ist, warum schaltete die Lüftung nicht automatisch auf die zweite Einheit?
• Ist es realistisch, dass von maximal 2.200 g Staub rund 100 Filter so verstopfen, dass diese von deren Halterungen abfallen?
• Wenn das Heizkraftwerk so eine hohe Relevanz hat, warum dürfen dann die Handwerker hier überhaupt alleine arbeiten?
• Handelt es sich bei dem Gebäude vielleicht um eine „kritische Infrastruktur“ (ein potentielles Terrorziel)?
• Wenn der Staub bereits ein gesamtes Wochenende in der Luft ist, warum gab es dann noch keine unkontrollierten Entladungen oder Ausfälle?
• Wer hat den Befehl zum Abschalten gegeben und warum wurde die Technik nicht im Betrieb gereinigt, indem man wie geplant einen Kreis herunterfährt, reinigt und dann wechselt?
• Wenn die Technik so empfindlich ist, warum ist es dann möglich, dass in dem direkten Umfeld so staubend gearbeitet wurde und nach wie vor wird?
• Wieso ermöglicht der Fachbetrieb, der die Anlage gebaut hat, eine Sonderabnahme für die AS, damit diese vorzeitig betrieben werden kann, anstelle die Bauleitung mit Bedenkenanmeldungen zu bombardieren?
Das war der Moment, an dem sich die Musikanten sicher fragten, wer von ihnen die Verantwortung für das Froschkonzert trägt und ob es gut war, den eigenen Ton in die „Symphonie der Hysterie“ einzubringen.
Fakten und Bewertung:
• Die Hersteller der Elektronik stellen ganz klar fest, dass die Elektronik nur unter „reinraumähnlichen Bedingungen“ betrieben werden darf, die auch klimatisch höchste Anforderungen erfüllen. Auch wenn das Gutachten des Sanierers bedenklich war, so gab dessen Chemiker zutreffend an, dass im direkten Umfeld der Elektronik gar keine staubenden Arbeiten ausgeführt werden dürfen. Da bereits wieder staubend gearbeitet wurde, müssten die Verantwortlichen eigentlich gleich wieder eine professionelle Reinigung (auf eigene Kosten) beauftragen. Komisch, dass beim Preis von 40.000,00 € für die Profi-Reinigung der Schutz der Elektronik auf einmal doch nicht mehr so hoch aufgehängt wurde. Wir waren so frei und nahmen Staubproben des neu angefallenen Staubs.
• 2.200 g Staub können keine 100 Filtertaschen (rund 22 g pro Filter) aus deren Verankerung lösen. Der viele Baustaub, der unweigerlich bereits zuvor bei der Arbeit angefallen sein muss, hingegen irgendwann schon. Es kann daher gar nicht klar gesagt werden, ob das Ereignis nicht auch ohne diese zusätzlichen 22 g Staub pro Filter eingetreten wäre. Klar ist hingegen, dass der Staub des Leichtbetons für gewöhnlich nicht so viele Metallpartikel enthält. Hier wurden die Metallpartikel als typische „Arbeitsstäube bei Trenn- und Schleifarbeiten“ deklariert, die sich wohl vielmehr durch das bereits in den Filtertaschen befindliche Material beigemengt haben.
• Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) durfte uns keine Auskunft geben, ob es sich bei dem Kraftwerk um eine kritische Infrastruktur nach § 8 a BSIG handelt. Es übergab die Anfrage an das Amt für Grundsatzfragen, dass uns gegenüber mitteilte, dass wir nicht autorisiert seien diese Information zu erhalten. Interessant wäre die Auskunft für uns, da bei einer kritischen Infrastruktur keine Arbeiten ohne direkte Überwachung und vorherige Überprüfung der Mitarbeiter stattfinden dürften. Ergo, es wäre nie zu dem Schaden gekommen. Keine Antwort ist unserer Aufraggeberin daher zwar keinen Eintritt in die Regulierung wert, aber allemal Antwort genug, um bis zur Klärung abzuwarten. Wir denken die Antwort zu kennen, da der Versorger alleine 80.000 Haushalte mit Fernwärme und noch deutlich mehr mit Strom versorgt.
• Der Staub war zum Zeitpunkt der ersten Meldung an die anderen Beteiligten bereits weitestgehend zum Liegen gekommen. Schäden gab es bis dato keine. Zwar müssen wir eingestehen, dass die VN zu der Verstaubung beigetragen hat, aber eine konventionelle Reinigung wäre anhand der allgemeinen Zustände auf der Baustelle schadenbedingt eher angemessen gewesen. Da nach der teuren Sanierung nicht einmal der Erfolg der Reinigung messtechnisch nachgewiesen wurde, taxierten wir den Anteil der VN mit 11.000,00 € als angemessen.
Wie zu erwarten folgt auf das fulminante Intermezzo in kleinkariertem Dur ein eher verhaltenes Finale in Moll, welches den nun sehr leisen Fröschen wohl eher zum Klagelied als zum Requiem wurde. Wie so oft bleibt uns leider ein Blick hinter den gefallenen Vorhang (den Ausgang des Falls) verwehrt, aber mit einer solch taffen und kompetenten Auftraggeberin sind wir uns sicher, dass es den Fröschen nicht nach einer erneuten Aufführung zumute ist. Nachfragen gab es jedenfalls keine mehr.
Wir hatten definitiv viel Spaß an den „unfreiwilligen Musikanten“ und freuen uns auch auf Sie, ja Sie:
Wenn Sie wieder ein unfertiges Bühnenstück für uns haben, welches wir gemeinsam entwickeln und zur erfolgreichen Aufführung bringen können.
Moritz Brisch, Techniker der Immobilienbranche, Büro München, C. Gielisch GmbH